1. Mai-Geschenke

David Dürr - Basler Zeitung 02.05.2014


Geschenke gibt es an Weihnachten, am Geburtstag und – nicht zu vergessen – am ersten Mai. Ges­tern war es wieder einmal so weit. Der Gabentisch war heuer besonders grosszügig: Alle Lohnempfänger in diesem Land, die weniger als 22 Franken pro Stunde verdienen, sollen die Differenz zu die­sem Betrag geschenkt bekommen. Dies dank der Mindestlohninitiative des Schweizerischen Gewerk­schaftsbunds, über die demnächst abgestimmt wird.

Wenn man dies einmal durchrechnet, kommt einiges zusammen: Offenbar gibt es in der Schweiz ungefähr 300‘000 Stellen mit einem Lohn unter 22 Franken pro Stunde. Im gewichteten Durchschnitt beträgt die Unterschreitung etwa 2,75 Franken pro Stunde oder 500 Franken pro Monat. Aggregiert auf die 300‘000 Stellen sind dies 1,8 MilliardenFranken pro Jahr. Wirklich grosszügig nicht wahr, diese Ge­werkschaften!

Der Haken ist nur, dass gar nicht sie diesen stattlichen Betrag bezahlen. Bezahlen sollen die 1,8 Milliarden andere, nämlich die jeweiligen Arbeitgeber. Das betrifft besonders die Branchen der Gast­ronomie und Hotellerie, des Detailhandels und des Landschafts- und Gartenbaus, wo teilweise fast die Hälfte der Angestellten Stundenlöhne unter 22 Franken haben. Da kann es passieren, dass sich der Personalaufwand eines einzelnen Unternehmens so markant erhöht, dass es Konkurs geht. Denn nebst den regulär ausgehandelten Löhnen muss es noch das Geschenk ausrichten, das die Gewerk­schaften mit ihrer Mindestlohninitiative und in flammenden 1. Mai-Reden versprochen haben. Irgendetwas stimmt da nicht.

Doch es gibt eine einfache und eigentlich sehr nahe liegende Lösung: Diejenigen, welche die jährlichen 1,8 Mil­liarden versprechen, sollen sie auch zahlen. Das entspricht so simplen wie fundamentalen Verhaltensprinzipien des Zusammenlebens in der menschlichen Gesellschaft. Nicht zufälligerweise schlägt sich dies in entsprechenden Regeln des sogenannten Privatrechts nieder, das sich in unserem Rechts- und Kulturkreis seit mehr als 2000 Jahren entwickelt, verfeinert und gleichsam als natürliches Recht bewährt hat: Wer etwas verspricht, soll es auch halten; und was andere versprechen, ist deren Sache.

Nun mag man einwenden, die Mindestlohninitiative sei – wenn sie denn angenommen würde – nicht einfach ein Versprechen der gewerkschaftlichen 1. Mai-Redner, sondern geltendes Recht, das im­merhin vom schweizerischen souveränen Verfassungsgeber beschlossen worden sei. Das ist natürlich blanker Unsinn. Denn bei einer durchschnittlichen Stimmbeteiligung von 45% und einer Mehrheit von beispielsweise 55% und unter Berücksichtigung davon, dass nur etwa zwei Drittel der Landesbe­völkerung überhaupt stimmberechtigt sind, wären das nur etwa 1,3 Millionen Leute bzw. 16% der Landesbevölkerung. Von einem souveränen Verfassungsgeber mit demokratischer Legitimation lässt sich da nicht reden.

Aber immerhin von einigen Leuten, die ein grosszügiges Schenkungsversprechen zugunsten gewisser Tieflohnarbeitnehmer abgegeben haben. Und dabei wären sie nun zu behaften. Man müsste bloss noch das Inkasso organisieren. Prädestiniert dafür wäre wohl der Schweizerische Gewerkschaftsbund. Er müsste den 1,3 Millionen Schenkungsversprechern Einzahlungsscheine zustellen. Bei einem Gesamtvolumen von 1,8 Milliarden macht das pro Person und Jahr CHF 1‘400. Der administrativen Einfachheit halber würde ich jeweils jährliche Daueraufträge empfehlen. 

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