Wir Ägypter

David Dürr - Basler Zeitung 12.07.2013


Grossartig, was die Ägypter uns da an echter Demokratie vordemonstrieren. Nicht einfach, dass sie eine allzu selbstherrliche Machtzentrale geputscht haben, sondern vor allem dass sie sich nicht davon beirren lassen, wenn diese sich ihrerseits auf Demokratie beruft.

Dass sich Präsident Mursi und seine Anhänger aus der Muslimbruderschaft nun nach der Absetzung empören, und dass sie die Demokratie verletzt sehen, ist zunächst ja verständlich. Schliesslich haben sich doch alle vor den letzten Wahlen kräftig eingeredet, das sei nun Demokratie. Warum soll dies nach den Wahlen plötzlich nicht mehr so sein? – Doch für so dumm lässt sich das Volk halt nicht verkaufen: Schon nur das knappe Zufallsmehr bei der Stichwahl von gerade mal 51,73 % weckt Bedenken. Hinzu kommen aber noch die tiefe Wahlbeteiligung von 51% und der Ausschluss von rund einem Drittel vom Wahlrecht. Damit waren es letztlich nicht mehr als 16,5 % der ganzen Landesbevölkerung, die Mursi auf den Wahlzettel geschrieben haben. Was fällt dem eigentlich ein, sich als „Präsident aller Ägypter“ aufzuspielen und allen im Lande Vorschriften zu machen? Soweit er für seinen islamistischen Fanclub beispielsweise den Alkohol verbieten oder die Freitagsruhe vorschreiben will, mag er das ja tun, aber bitte nicht für das ganze Land! Indem Mursi mit diesen und vielen weiteren Einmischungen in das Privatleben der Leute immer stärkere Widerstände hervorrief, provozierte er letztlich – so etwa die Einschätzung des Nahostexperten Ulrich Tilgner – eine Spaltung der Gesellschaft in eine politisch-religiöse und eine politisch-nichtreligiöse Fraktion.

Ein Lehrstück auch für uns? Ich denke da vor allem an die in Bern residierenden Bundespolitiker und ihre Anhängerschaft aus dem Kreis der Etatistenbruderschaft. Auch sie werden nicht müde, sich auf ihre angeblich so demokratische Legitimation zu berufen. – Doch für so dumm sollten wir uns nicht verkaufen lassen: Schon nur der Umstand, dass auf die gewählten Bundesparlamentarier jeweils nur rund 25% der abgegebenen Stimmen entfallen, weckt Bedenken. Hinzu kommen aber noch die tiefe Wahlbeteiligung von unter 50% und der Ausschluss von rund einem Drittel vom Wahlrecht (Ausländer und Minderjährige). Damit sind es nicht mehr als ca. 15% der ganzen Landesbevölkerung, welche die letztendlich Gewählten auf den Wahlzettel geschrieben haben, und den Bundesrat hat das Volk ja bekanntlich überhaupt nicht gewählt. Was fällt diesen eigentlich ein, sich als Obrigkeit aller Schweizer aufzuspielen und allen im Lande Vorschriften zu machen? Soweit sie für ihren unterwürfigen Fanclub beispielsweise Nikotin beschränken und die Feierabend- oder Wochenendruhe vorschreiben wollen, mögen sie das ja tun, aber bitte nicht für das ganze Land! Mit diesen und vielen weiteren Einmischungen in das Privatleben der Leute provozieren sie doch nur eine Spaltung in eine politisch-etatistische und eine politisch-zivilgesellschaftliche Fraktion.

Alle Achtung vor dem ägyptischen Volk, das seine letztlich undemokratisch agierende Regierung respektlos absetzt. Das unterstützende Militär ist zwar demokratisch noch viel weniger legitimiert, aber wenigsten ist das allen klar und deshalb besteht auch eine gewisse Chance, dass es sich nach getaner Arbeit wieder zurückzieht. Anders als bei der Landesregierung, die sich in ihrer Selbstgefälligkeit als Dauerzustand versteht. 

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