Burkini

David Dürr - Basler Zeitung 17.05.2013


Sie wissen nicht, was ein Burkini ist? – Das ist gemäss Definition des Bundesgerichts- images ein nicht eng am Körper anliegender Ganzkörperschwimmanzug mit integrierter Schwimmkappe“ (Urteil 2C_1079/2012 vom 11.4.2013, Erw. 3.4). Das Wort ist eine Kombination aus Burka und Bikini, aus morgenländisch-verschlossener und abendländisch-offener Bademode. Doch was hat das mit dem Bundesgericht zu tun?

Das Bundesgericht hatte neulich den Fall einer schiitischen Familie im Kanton Aargau zu beurteilen, die ihre Tochter vom obligatorischen Schwimmunterricht dispensieren lassen wollte. Der schiitische Glaube verbiete einem geschlechtsreifen Mädchen, Schwimmunterricht bei einem Mann zu nehmen. Die Schulbehörden lehnten das Gesuch ab. Die offenbar religiös motivierten Schamgefühle seien genügend berücksichtigt: Das Hallenbad habe separate Umkleide- und Duschkabinen, der Schwimmunterricht sei nach Geschlechtern getrennt. Und vor allem – man beachte diese grosszügige Haltung – man erlaube dem Mädchen das Tragen eines Burkini. Und wenn die Anwesenheit eines Schwimmlehrers trotz dieses Schutzes das Schamgefühl des Mädchens verletze, so sei dieser Eingriff jedenfalls nicht gross. So die Ansicht des Departements Bildung, Kultur und Sport des Kantons Aargau, Abteilung Volksschule.

Dies möge ja sein, gab die schiitische Familie zur Antwort. Aber der umgekehrte Fall, nämlich die Gewährung der Dispensation, wäre noch viel besser: Da gäbe es nicht nur einen geringen, sondern überhaupt keinen Eingriff. Auch nicht im umgekehrten Sinn zulasten der Schulbehörde. Diese würde ja nicht selbst einen Eingriff erleiden, sondern bloss darauf verzichten, aktiv in das Schamgefühl des Mädchens einzugreifen. Ein Argument, das ja wirklich einiges für sich hat. Auch fehle es an sonstigen Rechtfertigungen für das Obligatorium: Etwa dass der Schwimmunterricht integrativ wirke; denn er fand nur alle fünf Wochen statt und das Mädchen war in seiner Klasse bestens integriert. Etwa dass es wichtig sei, schwimmen zu können; denn das Mädchen konnte schon schwimmen. Kurzum, man möge doch bitte dispensieren.

Was tun bei einem solchen Patt? Man wendet sich an einen Unparteiischen, dem beide vertrauen. Er wird zuhören, abwägen, er wird sich schwer tun, er wird schliesslich der einen oder anderen Seite Recht geben, vielleicht wird er auch einen Kompromiss vorschlagen. In unserem Fall beispielsweise, dass für diese wenigen Schwimmstunden halt eine Lehrerin einspringen soll. Ich selbst (darum will ich mich nicht drücken) hätte als Unparteiischer wohl der schiitischen Familie recht gegeben. Ein anderer Unparteiischer vielleicht der Schule. Wie auch immer.

Das Problem in diesem Fall war aber ein ganz anderes: Es gab keinen Unparteiischen. Man zwang der Familie einen Parteiischen auf, nämlich das Aargauische Verwaltungsgericht. Das ist eine Organisation, die auf der gleichen Lohnliste steht wie das Departement Bildung, Kultur und Sport, Abteilung Volksschule. Da „beurteilt“ eine der beiden Konfliktparteien den Streit, in dem sie selbst mit der Gegenpartei steht. Was dabei herauskam, können Sie sich ja denken.

Und auch das Bundesgericht brachte am Schluss nicht mehr zustande als eine höchstrichterliche Definition des Burkini. Immerhin. 

Zurück zu den Medien