Müde in Brüssel und Bern

David Dürr - Basler Zeitung 17.07.2015


Warum bloss sind die ganz wichtigen Sitzungen der ganz grossen Tiere immer nachts? So spät kommt doch nichts Gescheites mehr heraus. Wie da neulich bei diesem grotesken Griechenland-Gipfel der EU in Brüssel. Am Schluss gaben müde grosse Tiere in müde hingehaltene Mikrophone müde Gesprächsbrocken von sich. Man habe eine Lösung gefunden. Sie bestehe darin, dass Griechenland mit von der Partie bleibe und weitere 80 Milliarden Euro bekomme. Wirklich wach war bei dieser Entscheidung wohl niemand mehr gewesen. Am Schluss wollten alle nur noch etwas – abnicken und schlafen gehen.

Kein wirklich begeisterndes Modell, diese EU. Wer sie schon immer als Fehlkonstruktion bezeichnet hatte, fühlt sich jetzt zu Recht bestätigt. Ermahnungen an den Bundesrat, bei den bald anstehenden Freizügigkeitsverhandlungen möglichst auf Distanz zur EU zu gehen, sind nur allzu verständlich.

Was dabei aber gerne übersehen wird: Auch die Schweizerische Eidgenossenschaft (SEG) ist eine Fehlkonstruktion, und zwar die gleiche wie die EU. Schon die Entstehungsumstände gleichen sich: Die ersten Schritte in die europäische Integration nach dem zweiten Weltkrieg bezweckten vor allem eine kontrollierende Einbindung des besiegten Deutschlands – gleich wie die SEG im Jahr 1848 die besiegten Sonderbundskantone unterwarf. Hier wie dort ging Macht vor Legitimation. Eine Volksbefragung darüber, ob man eine europäische Integration überhaupt wolle, gab es nicht – so wenig wie man 1848 die Zustimmung der Sonderbundskantone einholte, obwohl dies die Regeln des damals noch losen Staatenbunds ausdrücklich so vorsahen. Ein Staatsstreich als Taufpate der SEG!

Trotz dieser illegitimen Ausgangslage gebärdet sich die EU heute immer mehr als eigentlicher Staat.  Erklärtes Ziel ist so etwas wie die USA, die selber Kriege führen und zu diesem Zweck ihre Staatsbürger besteuern dürfen. –Noch schlimmer aber die SEG, die sich von Beginn weg als veritabler Staat aufspielte. Und bezeichnenderweise war es auch bei ihr die Kriegsführung, die ihr einen guten Grund gab, eine „vorübergehende“ Wehrsteuer zu erheben (und sie nachher unter einem anderen Namen nicht mehr aufzugeben).

Hatte die EU zu Beginn noch Freihandel versprochen, den Abbau zwischenstaatlicher Schranken, so ersetzt sie diese heute nur umso intensiver durch immer weitergehende gesamteuropäisch vereinheitlichte Sozial-, Umwelt- oder Sicherheitsregulierungen. – Und ebenso die SEG, die quer durch alle Kantone hindurch bürokratische Gesetze erlässt zum angeblichen Schutz der Arbeitnehmer, der Bauern, der Umwelt, der Mieter oder der Nichtraucher.

Rigoros schaltet die EU Steuerwettbewerb aus. Griechenland muss jetzt seine Mehrwertsteuer auf das horrende Niveau der anderen EU-Staaten heben. – Die SEG ist gar noch radikaler. Sie erhebt die Mehrwertsteuer landesweit gleich selbst.

Die wirtschaftlich erfolgreichen Gliedstaaten lässt die EU für die Schwächen der anderen bluten. Die tüchtigen Deutschen dürfen jetzt die griechische Party bezahlen. – Genauso sorgt die SEG mit ihrem interkantonalen Finanzausgleich dafür, dass finanzielle Disziplin bestraft und Schlendrian belohnt wird. Eine kürzliche Ratsdebatte in Bern über diese Milliardentransfers soll sich in alle Nacht hinein gezogen haben. Am Schluss wollten alle wohl nur noch etwas – abnicken und schlafen gehen.


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