Fremde Richter

David Dürr - Basler Zeitung 25.07.2014


Was spricht eigentlich gegen fremde Richter? Ich weiss es auch nicht. Von mir aus kann ein Richter fremd sein. Das kann sogar Vorteile haben. Denn als Fremder ist er nicht allzu sehr im Wurstkessel der Prozessparteien verbandelt und bietet damit vielleicht noch bessere Gewähr für Objektivität und Unbefangenheit.

Beim Europäischen Gerichtshof, den unser weiser Aussenminister Burkhalter nun als Gericht für Streitigkeiten zwischen der Schweiz und der EU vorschlägt, stört mich nicht, dass er fremd, sondern dass er befangen ist: Das Richterkollegium dieses Gerichtshofs setzt sich aus Angehörigen der EU-Länder zusammen und steht auf der Lohnliste der EU. Der Gerichtshof ist, wie es anschaulich heisst, ein „Organ“ der EU. Und die­ses EU-Organ soll nun über Streitigkeiten entscheiden, bei denen eine der Streitparteien die EU selbst ist. Doch eher absurd, nicht?

Das wäre etwa so, wie wenn Herr Burkhalter vorschlagen würde, dass Streitigkeiten zwischen der EU und der Schweiz in letzter Instanz vom Schweizerischen Bundesgericht beurteilt werden sollen. Also von ausschliesslich schweizerischen Richtern, die allesamt ihren Lohn von der Schweiz bezahlt be­kommen. Können Sie sich die Empörung oder wohl eher das Gelächter vorstellen, das ein solcher Vorschlag– zu Recht – in Brüssel auslösen würde?

Aber warum bloss kommt ein wohl nicht unterdurchschnittlich intelligenter Bundesrat auf die Idee, das Ansinnen der EU mit ihrem befangenen Gerichtsorgan nicht ebenfalls mit Gelächter zu quittie­ren, sondern darauf einzugehen und es sogar noch zu unterstützen? – Die Antwort ist so einfach wie beunruhigend: Weil befangene Gericht für so staatstragende Leute wie einen Bundesrat ganz normal sind. Alle staatlichen Gerichte sind befangen und parteiisch, das sind sie definitionsgemäss. Jedenfalls immer dann, wenn es darum geht, einen Streit zu beurteilen, bei dem eine der beiden Parteien der Staat ist. Wenn Sie sich beispielsweise – gegen eine Steuerrechnung, – gegen ein Abbruchverbot, – gegen ein Rauchverbot, – gegen ein Homeschoolingverbot, – gegen das Blaulichtverbot für Private – gegen die Anwaltspflicht vor Gerichten – oder gegen tausend andere Verbote, Gebote, Bewilligungspflichten oder sonstige Einschränkungen durch staatliche Behörden wehren wollen, so entscheidet jeweils ein Gericht, das vom Staat selbst bestellt und bezahlt ist.

Zur Beschönigung heisst es dann jeweils, das sei wegen der sogenannten Gewaltentrennung kein Problem. Es gebe da so etwas wie eine hohe und dicke chinesische Mauer zwischen den Exekutivbe­hörden einerseits und den Richtern anderseits. Schade ist nur, dass das nicht stimmt. Ich bin in mei­ner jahrzehntelangen Tätigkeit als Anwalt schon durch ziemlich viele Gerichts- und Verwaltungsge­bäude gegangen. Auf eine besonders hohe Mauer bin ich noch nie gestossen. Im Gegenteil, Richter und Beamte sind nicht selten der gleichen Telefonzentrale angeschlossen, verwenden für ihre e-Mails den gleichen domain-Namen und für die Post den gleichen Briefkopf, haben die gleichen Ar­beitszeiten, die gleiche Pensionskasse, die gleiche Lohnskala und – vor allem – den gleichen staatli­chen Arbeitgeber.

Wie viel unabhängiger wären da echt fremde Richter!


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