Präzisionsdemokratie im Fussball

David Dürr - Basler Zeitung 28.08.2015


Die nationalen Wahlen stehen an. In wenigen Wochen wissen wir, wer in der nächsten Polit-Saison dabei ist. Fast ein bisschen wie in der Transferzeit beim Fussball, in der sich entscheidet, wer in der nächsten Saison wo spielt. Überhaupt haben die Polit-Saison und die Fussball-Saison einiges gemeinsam: Beide tun so, wie wenn sie die wichtigste Sache der Welt wären; beide sind aber nichts als eine ziemlich repetitive Show, bei der nichts anderes passiert, als dass die Spieler – je nach Sitzplatz des Zuschauers – von links nach rechts oder von rechts nach links rennen und zwischendurch einmal den einen oder anderen Treffer landen.

Auch die Rolle der Zuschauer ist bei der Polit- und bei der Fussball-Show dieselbe: zuschauen eben. Dazu gehört auch zu grölen, zu pfeifen oder zu applaudieren. Oder sich zu Parteien und Fanclubs zusammenzuschliessen, Fahnen mit markigen Parolen zu schwingen und lautstark die Teams oder Stars zu feiern. Und übrigens auch zahlen dürfen die Zuschauer sowohl in der Polit- wie in der Fussball-Show.

Ebenfalls gleich verhält es sich in beiden Shows mit dem, was die Zuschauer nicht dürfen: nämlich selbst ins Geschehen eingreifen, sich zum Beispiel selbst ins Getümmel auf dem Spielfeld stürzen. Oder von der Trainerbank aus Weisungen erteilen. Oder den Coach und die Spieler auswählen. Dazu wären die Zuschauer – sagt man – gar nicht fähig. Da würden ja nur gute Populisten statt gute Spieler gewählt. Die Zuschauer haben höchstens insofern einen Einfluss, als sie im Fall unfähiger Spieler, erfolgloser Spielzüge und schlechter Ergebnisse halt nicht mehr so häufig zur Show kommen. Das wollen die Organisatoren natürlich vermeiden und haben deshalb ein Interesse daran, die Zuschauer zufrieden zu stellen. Insofern könnte man sowohl der Fussball- wie der Polit-Show so etwas wie einen „demokratischen“ Anstrich attestieren.

Komischerweise wird nun aber in der Polit-Show (im Gegensatz zur Fussball-Show) durch alle Böden hindurch behauptet, das sei nicht bloss ein demokratischer Anstrich, sondern echte, durch und durch verwirklichte Demokratie. So seien es tatsächlich die Zuschauer selbst und niemand sonst, die die Spieler wählen und sogar die Spielregeln erlassen. Auf Letzteres ist man in der Schweiz besonders stolz und nennt es „direkte Demokratie“. – Das ist natürlich blanker Unsinn: An diesen sogenannt demokratischen Wahlen ist ein Drittel der Zuschauer schon gar nicht zugelassen; von den Verbleibenden wiederum interessiert sich nicht einmal die Hälfte; und davon schliesslich ist es bloss noch eine Minderheit, deren Kandidaten letztendlich als Spieler zum Einsatz kommen. Und was die Sachabstimmungen anbelangt, so ist es weniger als ein Prozent aller Spielregeln, zu der die Zuschauer überhaupt befragt werden. 

Nur noch skurril ist angesichts dessen die neuste Kontroverse um Vor- und Nachteile des e-Votings. Da hat doch tatsächlich der Bundesrat einigen Kantonen die elektronische Durchführung der Nationalratswahlen verboten, wegen angeblich zu grosser Abweichungstoleranzen der IT-Programme. Das ist etwa gleich absurd, wie wenn die Organisatoren von Fussballspielen sagen würden, die Geräte zum Messen des Gegröles der Zuschauer seien zu wenig präzis, um die daraus gezogenen Schlüsse auf die Transferlisten zuverlässig auszurechnen. 

Zurück zu den Medien