Peter Ochs – Verräter oder Befreier?

Zur aktuellen Sonderausstellung im historischen Museum Basel




David Dürr – Basler Zeitung 7. September 2021


Als Peter Ochs vor zweihundert Jahren starb, hinterliess er wenig Freunde. Für viele war er ein Landesverräter, der aus Ehrgeiz und Naivität zur Marionette Napoleons wurde, der einer traditionell föderalistischen Schweiz eine zentralistische Verfassung verpasste und sie letztlich in die neue Europamacht Frankreich integrieren wollte. Das kam schon damals bei manchen Schweizern nicht gut an – so wenig gut wie es heute bei manchen Schweizern ankommt, wenn jemand die Schweiz in die neue Europamacht EU integrieren will, etwa mit einem Regime der automatischen Anpassung der schweizerischen Rechtsordnung an das EU-Recht oder gar mit einem Vollbeitritt. So wie es schon damals misslang, die Schweiz auf eine ferne Obrigkeit in Paris auszurichten, so scheint es auch heute zu misslingen mit Brüssel.

Paris und Brüssel

Trotzdem oder vielleicht genau deshalb nimmt das historische Museum Basel den zweihundertsten Todestag Peter Ochs’ zum Anlass für eine kleine Sonderausstellung mit einer sorgfältig redigierten Buchpublikation «Menschenrechte und Revolution – Peter Ochs». Damit sollen vor allem auch die Verdienste von Ochs und der damaligen Revolutionsideale zur Sprache kommen. Denn schliesslich – so liest man in der Ausstellung – habe sich der Basler Historiker und Staatsmann «im Geist der Französischen Revolution ... lebenslang für die Menschenrechte, Pressefreiheit, Religionsfreiheit und die politische Gleichberechtigung aller Einwohner eingesetzt – Errungenschaften, die für uns selbstverständlich geworden sind. Wir verdanken sie mutigen Kämpfern wie Peter Ochs».

Hat uns Peter Ochs nun verraten oder befreit? Beziehungsweise sind nun Befürworter einer Annäherung an die EU bis hin zu einem Vollbeitritt, wie gerade neustens sehr explizit die SP Schweiz, Verräter oder Befreier?

Der Blick auf Peter Ochs aus historischer Distanz mag hilfreich sein bei der Einordnung seiner heutigen Epigonen. So wird man diesen so wenig wie jenem den Vorwurf des Landesverrats machen können, jedenfalls nicht im Sinn einer böswilligen Absicht, die Schweiz einem fremden Kaiser zu unterwerfen. Als Ochs in seinen historischen Untersuchungen, später in seinen staatsrechtlichen Schriften bis hin zum Entwurf der Helvetischen Verfassung von 1798 begeistert das neue Regime der Freiheit beschwor, da tat er dies ganz sicher nicht mit einer versteckten freiheitsfeindlichen Agenda: Und bei den heutigen EU-Beschwörern wird man solches wohl ebenso wenig unterstellen dürfen. Auch sie oder jedenfalls manche unter ihnen sehen in der EU eine Struktur der Freiheit; stand doch an deren Anfang bei den Römer Verträgen von 1957 die explizite Freiheitsdevise einer möglichst ungehinderten gesamteuropäischen Freizügigkeit von Personen, wirtschaftlichen Gütern und Kapital.

Freiheit von oben?

Das Problem ist nur, sowohl vor zweihundert Jahren bei Ochs und seinen Liberalen als auch heute bei den EU-Überzeugten, dass diese gesamteuropäische Freiheit von oben diktiert wird. Doch mit Freiheit geht das nicht. Freiheit gibt man nicht, Freiheit nimmt man sich, sonst ist es keine. Napoleon propagierte zwar Freiheit, ja er kämpfte energisch dafür, doch was er mit seinen Feldzügen brachte, war nicht eben Freiheit, sondern vielfach Krieg, Verwüstung und Tod. Und wo es nicht allzu gewalttätig ablief, wie etwa in der Schweiz, da brachte er ebenso wenig Freiheit, sondern straffe Top Down-Strukturen eines modernen Nationalstaats.

Nicht anders die EU. Krieg hat sie zwar noch nicht geführt, doch seit Lissabon 2007 träumt sie von eigenen Streitkräften. Vor allem aber ist auch sie daran, eine immer straffere Top down-Struktur zu werden. Der ursprüngliche Freizügigkeitsansatz hätte eigentlich dazu führen müssen, dass im internationalen Verkehr die jeweils liberalere Regulierung den Benchmark setzt und damit so etwas wie eine Spirale des Regulierungsabbaus einsetzt. Eingetreten ist das Gegenteil, indem die nationalen Regulierungen zunehmend durch EU-weite Einheitsregulierungen ersetzt werden und damit mangels liberalen Benchmarks so etwas wie eine Spirale der Regulierungsverdichtung im Gang ist. 

Zurück zur Frage:

Verräter oder Befreier? Jenes wohl kaum, dieses aber auch nicht.


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