Natürliches Recht statt staatliches Unrecht

David Dürr - eigentümlich frei 01.05.2017



Über das, was nicht als letztes, sondern gleich als erstes zu entstaatlichen wäre

Debatten über eine Entstaatlichung der Gesellschaft kommen spätestens dann ins Stocken, wenn Rechtsgelehrte auf den Plan treten mit dem Einwand: Man stelle sich nur vor, es gäbe keinen staatlichen Gesetzgeber! Wer gäbe denn da Gesetze? Da wäre ja alles erlaubt und nichts verboten! Ein Krieg aller gegen alle die unmittelbare Folge, homo homini lupus. Wo eine starke Monopolinstanz für Recht und Ordnung fehlt, da stürze die Gesellschaft ins Chaos. 

Das sehe ich – obwohl auch ich Jurist – grundsätzlich anders: Nicht nur ist der Staat für Recht und Ordnung entbehrlich. Nicht nur ist eine Rechtsordnung ohne Staat viel besser. Nein, der Staat ist gar das Gegenteil von Recht, eine institutionalisierte Pervertierung von Recht. 

Aber nochmals und gerade deshalb: Welches Recht denn sonst, wenn nicht das staatliche? Und wer soll es in die Welt bringen, wenn nicht der Staat?

Bei diesen Fragen kommt mir immer die Tierfabel vom Hahn Chantecler in den Sinn, der jeweils frühmorgens mit seinem Schrei dafür sorgt, dass die Sonne aufgeht und Wärme und Licht in die Welt bringt. So jedenfalls der tiefe Glaube des ergebenen Hühnerhofs. – Wir gescheite Zuschauer wissen natürlich, dass die dummen Hühner sich täuschen. Licht und Wärme kommen ganz natürlich und von selbst, auch ohne Chantecler. Und so müssten wir aufgeklärte Zeitgenossen auch wissen, dass die dumpfen Etatisten sich täuschen. Gesetze gibt es, als natürliche Gesetzmässigkeiten menschlichen Verhaltens, einen Gesetzgeber braucht es nicht. Andere zu töten, zu verletzten, einzusperren, zu betrügen oder zu bestehlen, ist nicht deshalb verboten, weil es im Gesetzbuch so steht, sondern es steht im Gesetzbuch, weil es verboten ist.

Die Rechtsgeschichte bestätigt dies: Soweit Recht nicht einfach faktische Konfliktlösung in Familien-, Stammes-, oder Feudalstrukturen war, sondern sich in Geschriebenem niederschlug, in Entscheidsammlungen, Rechtsbüchern oder Kodizes, waren dies meist Aufzeichnungen von dem, was sich auf natürliche Weise an Verhaltensregeln gebildet und entwickelt hatte. Mit der Aufklärung wuchs dann immer mehr auch das wissenschaftliche Interesse an diesen Naturkräften der menschlichen Gesellschaft, bildeten sich vielversprechende Ansätze einer Art Legal Engineering zur Stärkung und Stabilisierung natürlicher Rechts- und Ordnungsstrukturen.

Doch dann – so gegen 1900 – machte der eingebildete Chantecler mit seinem dummen Hühnerhof das alles zunichte: Dem forsch in die Geschichte tretenden Nationalstaat gefiel es, so zu tun, wie wenn er selbst das Recht erschüfe. Das war die Zeit der grossen nationalen Gesetzbücher, des BGB in Deutschland oder des ZGB in der Schweiz. Was Recht ist, interessierte nun nicht mehr, bloss noch was der Staat ins Gesetz hinein schrieb. Und dies mit verheerenden Folgen: Steht dem Staat der Sinn danach, seine Untertanen zu besteuern, zu Schulgang oder Frondienst zu zwingen, auszuspionieren, einzukerkern, hinzurichten, ihrer Kinder zu berauben oder im wirtschaftlichen Fortkommen zu behindern, so schreibt er dies in ein sogenanntes Gesetz, und schon sind all diese Missetaten „Recht“! Wie gesagt: eine institutionalisierte Pervertierung von Recht.

Wenn also etwas zu entstaatlichen ist, dann zuallererst das Recht, lieber schon heute als erst morgen. 

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