Das Gespenst der Sezession - Was geht da um in Europa?

David Dürr - eigentümlich frei 01.12.2017


Die Sezession, man sieht sie nicht, man riecht sie nicht, man kann sie nicht anfassen. Aber wenn sie da ist, passieren gespenstische Dinge: Wie aus dem nichts tauchen Unmengen von Polizisten in Kampfmontur auf, fahren Strassenkampffahrzeuge in Tarnfarbe herbei, von denen man sich fragt, wo all das Gerät bloss herkommt. Sirenen heulen auf, schrille Megafone brüllen Befehle, ganze Strassenzüge, vor allem um Schulhäuser, werden abgeriegelt, Tränengas und Gummischrot werden verschossen – bloss ist da gar kein Gegner. Gespenstisch.

Mangels Gegner stürzen sich die Kampftruppen auf friedliche Leute, die sich bei diesen Schulhäusern gerade zu einer harmlosen Meinungsabstimmung treffen, schreien sie an, zerren sie weg und prügeln auf sie ein. Und dies obwohl der Gegenstand, um den es bei der Abstimmung geht, alles andere als aggressiv oder verletzend ist. Ja man wird den gespenstischen Eindruck nicht los, dass je mehr sich die Abstimmenden zurücknehmen, desto stärker die Polizisten zuschlagen; je weiter sich die Abstimmenden entfernen, desto heftiger zerren sie die Polizisten heran; und am allerbrutalsten wird es, wenn die Leute nur noch etwas wollen, nämlich in Ruhe gelassen werden; wenn sie also ein Verhalten an den Tag legen, das mit den bewaffneten Truppen schon rein logisch gar nicht kollidieren kann – oder höchstens dann, wenn diese Truppen und ihre Auftraggeber ein „Recht“ darauf beanspruchen, die Leute nicht in Ruhe zu lassen, sie zu stören, zu bedrängen, zu unterwerfen und ihnen ihren Willen aufzuzwingen.

Nun weiss natürlich jedes Kind, dass niemand einfach so das Recht hat, andere zu stören, zu bedrängen, zu unterwerfen und ihnen seinen Willen aufzuzwingen. Deshalb erfinden die gewalttätigen Polizisten und ihre staatlichen Auftraggeber gespenstische Gründe, weshalb die Leute, die in Ruhe gelassen werden wollen, im Unrecht seien und sie selbst, die sie unterwerfen wollen, im Recht. Nicht zufällig kommt bei diesen Argumentarien immer wieder das Wort „Recht“ vor. Es heisst dann beispielsweise, die verfassungsmässige „Rechtsordnung“ erlaube Sezession nur dann, wenn der betreffende „Rechtsstaat“ dies so vorsehe. Sogenannte „Staatsrechtler“ und gerne auch „Völkerrechtler“ erläutern mit fachmännischer Wichtigkeit, dass „Völkerrechtssubjekte“ nur Staaten sein können; also sei es ausschliesslich an diesen, zu bestimmen, ob jemand das „Recht“ habe, sich abzuspalten und sich anderweitig zu organisieren. Tue dies jemand ohne staatlichen Segen, verletze er „Recht“. – Dass aber dieses „Recht“ von niemand anderem als wiederum von diesen Staaten selbst erlassen wird, geht schon eher unter grimmige Lachnummer.

Wirkliches Recht dagegen findet sich auf der Seite der Sezession. Nicht weil es so etwas wie ein feierlich verliehenes positives Recht auf Sezession gäbe, sondern viel einfacher und negativ: weil Sezession niemanden stört, niemanden bedrängt, niemanden unterwirft und niemandem seinen Willen aufzwingt, also keinerlei Anlass zum Vorwurf von Unrecht gibt. Sezession ist Recht, weil sie kein Unrecht begeht.

Und so kann es nicht Unrecht sein, wenn England aus der EU, Katalonien aus Spanien, Venezien aus Italien, und wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, aus der Zwangsorganisation „Bundesrepublik Deutschland“ austreten und sich anderweitig organisieren wollen.

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