Ich habe einen Traum

David Dürr – eigentümlich frei Juli 2019



Während der Europawahlen kürzlich hatte ich einen merkwürdigen Traum: Diese ungehobelten Europaskeptiker, die so etwas wie den Marsch durch die EU-Institutionen antreten mit dem erklärten Ziel, die EU letztlich aufzulösen; diese Schreihälse, die vom Politestablishment wie Aussätzige behandelt und als Wirrköpfe oder Rechtspopulisten bezeichnet werden; diese lauten Kämpfer gegen die zunehmend dominante EU-Macht – waren plötzlich ganz schwarz und scharten sich um den schwarzen Martin Luther King, der gerade daran war, seine Jahrhundertrede von 1963 zu halten: I have a dream – ich habe einen Traum; Schwarze auf Augenhöhe mit Weissen; weiss zu sein, heisst nicht mehr, Schwarzen befehlen zu dürfen; schwarz zu sein, heisst nicht mehr, Weissen dienen zu müssen. Das brauchte Mut. Das weisse Establishment behandelte schwarze Bürgerrechtler wie Aussätzige und bezeichnete sie als Wirrköpfe oder Linkspopulisten. King bezahlte seinen Traum mit dem Leben.

Als ich erwachte, war mir klar: Mein Traum vom Traum war wahr. Zwar geht es heute in Europa nicht um Rassentrennung wie damals in den USA zwischen rechtlosen Schwarzen und privilegierten Weissen, aber doch um Machttrennung zwischen rechtlosen Bürgern und privilegierten Staatlern. Gleich wie damals in den USA den Schwarzen wird auch hier in Europa den Bürgern vorgegaukelt, sie hätten verfassungsmässige Rechte, vor allem das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz; wenn dieses verletzt werde, seien sie berechtigt, sich vor Gericht zu wehren. Die Realität jedoch sah dort und sieht hier ganz anders aus: Die Privilegierten setzten und setzen alles daran, privilegiert zu bleiben und immer noch mehr zu werden.

Dazu gab es schon damals und gibt es auch heute die gleichen bewährten Mittel: Wollten sich damals Schwarze vor Gericht für gleiche Rechte wehren, bestand das Gericht aus lauter Weissen; wollen sich heute Staatsbürger gegen staatliche Willkür wehren, besteht das Gericht aus lauter Lohnempfängern des Staates. Wollten sich damals Schwarze mit unternehmerischem Mut zu Wohlstand hocharbeiten, wurden sie von weissen Kartellen boykottiert; wollen hier bei uns Unternehmer erfolgreich sein, behindert sie der Staat mit flächendeckenden Regulierungen, Bewilligungspflichten und behördlichen Schikanen. Prangerten damals Schwarze dieses Machtgefälle als schreiendes Unrecht an – wie King in der erwähnten Jahrhundert-Rede – so bekamen sie zynische Antworten zu hören wie etwa diese: Friede, Ruhe und Ordnung können durch niemand anders gewährleistet werden als durch die verantwortungsvolle weisse Elite, was im Interesse der ganzen Gesellschaft liege und damit letztlich auch der Schwarzen. Nicht weniger zynisch klingt das heute uns Untertanen ständig vorgeleierte Mantra: Niemand als der Staat kann für Frieden, Ruhe und Ordnung sorgen.

Und so traten damals Schwarze im Gefolge Kings einen beherzten Marsch durch die Institutionen an mit dem Ziel, das Gefälle zwischen der herrschenden und der beherrschten Kaste zu überwinden; gleich wie es in Europa heute diese Polterer tun, die sich in EU-Institutionen wählen lassen, um die EU aufzubrechen. Bloss ist zu hoffen, dass es hier in Europa nicht so verläuft wie damals in den USA. Dort fühlten sich nämlich die Schwarzen in den von ihnen durchschrittenen Institutionen immer wohler und wurden letztlich Teil der herrschenden Regierungsklasse, die nur ein einziges Ziel verfolgt, nämlich privilegiert zu bleiben und immer noch mehr zu werden.


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