Enteignung des Körpers

David Dürr – eigentümlich frei / Juli/August 2022


Was selbst so hartgesottene Sozialisten wie Annalena Baerbock, wenn auch ungern, der Zuständigkeit des Einzelnen überlassen, ist dessen eigener Körper. Mag auch sonst alles dem üblen Egoismus des Individuums entzogen und dem alleinseligmachenden Staat überantwortet werden; mag selbst noch das Hemd ein kollektives Gut sein; der nackte Körper soll jedem selbst gehören. In der Bundestagsdebatte vor zwei Jahren über die Regelung der Organspende sprach sich Frau Baerbock, damals noch gewöhnliche Abgeordnete, für die Beibehaltung der Zustimmungslösung und gegen die Einführung einer Widerspruchslösung aus mit dem Satz «Wir stimmen heute auch darüber ab, wem gehört der Mensch?», womit sie natürlich «Er gehört sich selbst!» suggerieren wollte. Auch höchste Priester des Etatismus haben bisweilen lichte Momente. Es blieb bei der Zustimmungslösung und damit beim Eigentum am eigenen Körper.

Anders nun neustens in meiner ach so freiheitlichen, sogenannt direktdemokratischen schweizerischen Eidgenossenschaft. Sie hat die bisherige Zustimmungslösung aufgehoben und neu die Widerspruchslösung eingeführt, das heisst mit einem geänderten Transplantationsgesetz den ultimativen Kern des Privateigentums, den Körper eben, enteignet. In der Schweiz gehört der Körper jetzt nicht mehr demjenigen, der darin zu Hause ist. 

Konkret wirkt sich dies so aus: Wenn jemand beispielsweise gesunde Nieren hat, andere Personen diese aber gut gebrauchen könnten, muss man den Nierenbesitzer jetzt nicht mehr anfragen, ob er mit einer Entnahme einverstanden ist. Er wird, ohne dass er zugestimmt hat, in Vollnarkose versetzt, um seine noch lebende Niere erleichtert, und es wird diese einer anderen Person eingesetzt, die sie offenbar besser gebrauchen kann. Das klingt nun echt brutal und erinnert gar an Schauergeschichten von rücksichtslosen Banden in armen Ländern, die gesunde Obdachlose verschleppen, zwangsweise narkotisieren, um eine Niere erleichtern, behelfsmässig zusammennähen – und mit dem Verkauf solcher Nieren ein gutes Geschäft machen.

Befürworter des neuen schweizerischen Transplantationsgesetzes würden sich gegen solche Vergleiche natürlich mit Nachdruck verwahren. Doch was sie dagegen vorbringen, ist nicht wirklich schlüssig:

So etwa das Argument, diese ganze Regelung gelte natürlich nur für Menschen, die schon gestorben sind. Na und? Dann müssten sie ihre Zustimmung halt schon zu Lebzeiten gegeben haben. Das ändert aber nichts daran, dass es die Zustimmung des Eigentümers der Niere braucht. Die geschilderten Nierendiebe könnten sich ja auch nicht damit herausreden, ihre narkotisierten Opfer hätten sich zur Organentnahme nicht geäussert.

Das Argument des schon gestorbenen «Spenders» (eine zynische Beschönigung) zielt auch aus einem anderen Grund daneben: Die Organe, um die es konkret geht, sind noch voll am Leben, sonst würden sie dem neuen Empfänger schon gar nichts nützen. Bezeichnenderweise werden die sogenannt «gestorbenen» Spender für die Organentnahme jeweils in Vollnarkose versetzt – gleich wie bei jenen Nierendieben.

Auch ein weiteres Argument versagt, nämlich dass man mangels einer lebzeitigen Zustimmung des Organeigentümers zunächst noch dessen Angehörige fragen müsse, und nur wenn diese zustimmen, sei die Organentnahme zulässig. Indes, diese Angehörigen sind ja ebenso wenig Eigentümer der Niere. Würden jene brutalen Nierendiebe die Zustimmung des Bruders ihres Opfers einholen, wären sie trotzdem Diebe und der Bruder des Bestohlenen ihr Komplize.

Es lebe das freie Deutschland, wo man den Menschen immerhin ihren nackten Körper überlässt! Jedenfalls vorerst noch.


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