Der Staat scheisst auf die Untertanen

David Dürr – eigentümlich frei / März 2022


Der französische Staatspräsident Emanuel Macron unterscheidet sich von anderen Staatspräsidenten und Regierungschefs in seiner Haltung gegenüber den Untertanen nicht grundsätzlich. Er behandelt sie nicht mehr und nicht weniger von oben herab, er erwartet nicht mehr oder weniger Unterwürfigkeit und er verachtet sie auch nicht mehr oder weniger als all seine Amtskolleginnen und Amtskollegen in anderen Staaten. Der einzige Unterschied liegt darin – und das muss man Präsident Macron zugutehalten – dass er diese seine typische Staatsoberhaupts-Haltung ehrlich und zutreffend umschreibt. Während andere Regierungsleute das, was sie den Menschen antun, meist angenehm, bisweilen etwas schulmeisterlich umschreiben, beispielsweise: Helfen, Unterstützen, Schützen, Informieren, Führen, Kontrollieren, Regulieren und dergleichen, ist Macron da viel realistischer, bei ihm ist es schlicht:

Scheissen.

Damit spricht er nicht einfach Klartext, sondern er bekennt auch, dass ihm dies ganz persönlich Lust bereitet, beispielsweise wenn es um Leute geht, die sich nicht impfen lassen wollen. Von diesen sagte er kürzlich folgendes: « J'ai très envie de les emmerder. Et donc on va continuer de le faire, jusqu'au bout. C'est ça, la stratégie.» Auf Deutsch heisst das: «Ich habe sehr Lust, sie anzuscheissen. Und man wird damit bis zum bitteren Ende fortfahren. Das ist die Strategie.»

Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, ob ich «emmerder» in diesem Kontext mit «anscheissen» wirklich treffend übersetzt habe. Das Wort kommt von «la merde» = die Scheisse. Das Präfix «em-» heisst so viel wie hinzu-, an-, bei- etc.. drückt also eine Bewegung hin zu jemandem aus. Vielleicht wäre die Übersetzung «zu-scheissen» oder – natürlich nicht so elegant wie auf Französisch – «von oben herab mit Scheisse komplett zudecken» passender, vor allem weil es sich ja um eine eigentliche Strategie und nicht bloss um eine gelegentliche Verschmutzung handelt. Doch anderseits kommt mit der Wendung «mit Scheisse komplett zudecken» der eigentliche Vorgang des Scheissens zu wenig zum Ausdruck, und eben dieser bereitet Macron doch seine besondere präsidentielle Zu Scheiss-Lust. 

Interessant ist der dezente Umgang der deutschsprachigen Medien mit Macrons so explizit deklarierter Scheiss-Strategie. «emmerder» wird dann übersetzt mit Begriffen wie: Auf-die-Nerven-gehen, Ärgern, Plagen, Piesacken, Anöden. Vielleicht können diese Berichterstatter einfach nicht Französisch, geben das Wort in die automatische Übersetzung ein und bekommen dann diese dezent-manierlichen Begriffe. Aber vielleicht wagen sie es auch nicht, von einem Staatspräsidenten, der immerhin in einem goldenen Königsschloss in Paris residiert, mit so ungehobelten Zitaten zu berichten. Wahre Berichterstattung als Majestätsbeleidigung?

Macrons strategische Scheiss-Erklärung war auch nicht einfach ein Versprecher in einer hitzigen Debatte, für die er sich hinterher dann sittsam entschuldigt hätte. Als im Parlament einige Oppositionspolitiker den Präsidenten für seine Respektlosigkeit den Bürgern des eigenen Landes gegenüber rügten, liess er seine Wortwahl durch einen offiziellen Präsidentensprecher nochmals eigens bekräftigen.

Aber was soll überhaupt die Aufregung? Macron hat doch bloss gesagt, was wir alle schon seit langem wissen: Der Staat scheisst auf seine Untertanen.


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