Kleine politische Sprachkunde

David Dürr – eigentümlich frei März 2021


Bei dieser Aufregung kürzlich in Washington, als eine aufgebrachte Menge Polizeisperren vor dem Capitol durchbrach, ins Gebäude stürmte, Scheiben zerbrach und Möbel umwarf, wurde eifrig darüber diskutiert, wie man das nun nennen soll. War das einfach «Randale» oder «Verwüstung»? Oder war es «Aufruhr» (Insurrection) oder gar «Putsch» (Putsch, Coup). Am häufigsten hörte man «Angriff auf die Demokratie» (Assault on Democracy). In einem war man sich aber einig, eine skandalöse Ungehörigkeit!

Was hingegen nicht diskutiert wurde, war, wie man das nennen soll, wogegen sich dieser Angriff richtete. Da gab es offensichtlich nichts zu diskutieren, das war doch die gute alte und speziell in den USA zur wahren Perfektion entwickelte «Demokratie». Was dieses Wort sagt, weiss ja jedes Kind. Es kommt aus dem Griechischen, setzt sich aus Demos=Volk und kratein=herrschen zusammen und bedeutet folglich Herrschaft des Volkes. Das ist die beste, da freiheitlichste aller Staatsformen, bei der das Volk von niemandem beherrscht wird, sondern – eben – selber herrscht. Und genau deshalb war dieser Angriff so ungehörig.

Was noch viel weniger diskutiert wurde, war, ob diese Bezeichnung «Demokratie» mit der politischen Wirklichkeit auch tatsächlich übereinstimme. Da hätte es durchaus Diskussionsstoff gegeben. Denn wie gerade der Ort des Geschehens zeigt, wird das Volk sehr wohl beherrscht, nämlich von den nicht sehr zahlreichen Politikern im Capitol und dem noch kleinere Machtzirkel gleich gegenüber im Weissen Haus. Das sind doch die Herrscher, die nun in den nächsten vier Jahren dem amerikanischen Volk tonnenweise Steuern und Regulierungen auferlegen; und dies nicht etwa als blosse Empfehlungen, deren Befolgung freiwillig wäre, sondern als strikt verbindliche Gesetze, die notfalls mit Waffengewalt durchgesetzt werden, gegen die sich mit Waffengewalt zu wehren, dem Volk strikt verboten ist. – Ähm, Herrschaft des Volkes?

Hätte man hierüber diskutiert, so hätten die Washingtoner Volksbeherrscher zwar sogleich den Einwand erhoben, das Volk habe diese Beherrscher ja gewählt und damit deren Herrschaft freiwillig akzeptiert. Indes, das war ja gar nicht das Volk, das waren bloss kleine Teile davon. Herr Biden beispielsweise wurde nur von 81 Millionen Leuten gewählt, das ist nicht mehr als ein Viertel der Gesamtbevölkerung von 330 Millionen. Woher nimmt Herr Biden sein Recht, über diese alle zu herrschen? Übrigens bei den Herren Trump, Obama, Bush, Clinton und wie sie alle heissen, war es auch nicht besser.

Auch andernorts scheint dies das Muster von «Demokratie» zu sein, beispielsweise in Hongkong: Als dort im Jahr 2019 genau das gleiche geschah wie kürzlich in Washington, nämlich eine aufgebrachte Menge Polizeisperren vor dem Parlamentsgebäude durchbrach, ins Gebäude stürmte, Scheiben zerbrach und Möbel umwarf, empörten sich die Herrschenden über den skandalösen Angriff just auf den Legislative Council, in dem doch die vom Volk gewählten und damit demokratisch legitimierten Parlamentarier sitzen. Herrschaft des Volkes!

Bei uns und in den USA tönte es damals anders: Hongkong eine Demokratie? Ein Hohn! Alle Achtung vor diesen mutigen Protesten, die lautstark echte Demokratie einfordern, bei der das Volk endlich nicht mehr von einer kleinen Machtelite beherrscht wird, sondern – eben – selber herrscht!


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