Von wegen Notrecht – weder Not noch Recht

David Dürr - eigentümlich frei November 2020

Wenn es um Notrecht, Notstandsrecht, Notstandsgesetze, Ausnahmerecht oder ähnliches geht, herrscht Aufregung. Das hat – nebst anderem Unangenehmen – den Effekt, dass sich niemand näher überlegt, was «Notrecht» eigentlich bedeutet. Ist das nun Notrecht, was bei diesen aufgeregten Schutzmassnahmen gegen die aktuelle Grippe-Welle mit dem C-Namen oder bei den ebenso aufgeregten Klima-Notstandsstrategien ablief und nach wie vor abläuft?

«Notrecht» wird nicht einheitlich definiert. Im Allgemeinen versteht man darunter ein Regime, bei dem der Staat noch hemmungsloser und noch tiefer als sonst in die Grundrechte der Bürger einzugreifen sich erlaubt. Und weil er zur Begründung vorgibt, der Mehr-Eingriff sei «notwendig», etwa weil eine riesige Gefahr für die ganze Gesellschaft drohe, und er deshalb das «Recht» habe, seine unbedarften Untertanen davor zu schützen, nennt sich dies dann «Notrecht». 

In Deutschland sind solche Notrechts-Regime wegen der Ermächtigungsgesetze von 1933 historisch belastet. Das hat aber nicht verhindert, dass 1968 sogenannte Notstandsgesetze erlassen wurden. Allerdings geschah dies nur auf Vorrat, um etwa im Fall eines «inneren Notstandes» Freiheitsrechte der Bürger beschränken zu können, und zwar mit dem Zweck, die «freiheitliche demokratische Grundordnung» zu schützen. Vielleicht ist diese offensichtliche Widersprüchlichkeit der Grund dafür, dass es der deutsche Staat bis anhin noch nicht gewagt hat, diese Notstandsgesetze anzuwenden oder eher: sich ausdrücklich auf sie zu berufen.

Dies wiederum hält ihn nicht davon ab, auch ohne solche Notstandsgesetze die Grundrechte der Bürger in einer Art zu beschränken, wie das eigentlich nur in höchster Not möglich sein sollte. Dafür beruft er sich dann nicht auf jene Notstandsgesetze von 1968, dafür halt auf ein anderes Gesetz, dem er einen umständlich-sachlichen Titel gibt wie gerade aktuell das «Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite», und das inhaltlich unerwähnt lässt, dass der Staat nun die Freiheitsrechte geringachten und die Bürger zu entwürdigenden Schutzmassnahmen zwingen dürfe. Stattdessen ist das Gesetz so geschrieben, dass man es gar nicht lesen kann. Als sogenanntes «Artikelgesetz» ist es eine Ansammlung zusammenhangloser Einzeländerungen unzähliger Einzelartikel in zahlreichen Einzelgesetzen, sozusagen eine hochtechnische Programmieranleitung für ein Update einer obrigkeitlichen Software namens «Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland».

Mit Recht in einem materiellen Sinn hat dies freilich nichts zu tun. Eine nur halbwegs demokratische oder zumindest nachvollziehbare Diskussion zwischen dem angeblichen «Notrecht» des Staates und den vom Staat doch eigentlich zu garantierenden Grundrechten der Bürger sieht anders aus. Was hier abläuft, ist verwaltungsbürokratischer Nachvollzug eines vom Staat autokratisch losgetretenen Vollmachtenregimes: Er allein erklärt eigenmächtig die Notwendigkeit seines Eingreifens; er allein erlässt eigenmächtig das erwähnte Gesetz mit dem komplizierten Titel und dem unlesbaren Inhalt; er allein verfügt eigenmächtig die Ausgehverbote, die Maskentragpflicht, die Geschäfts-, Schul- und Grenzschliessungen; er allein bestraft eigenmächtig und beschimpft auch gleich jene, die sich seinen Grundrechtseingriffen widersetzen. Da ist weder Not noch Recht, sondern unnötige Rechtlosigkeit.

Erstaunlich ist dies übrigens nicht; Notwendigkeit und Rechtmässigkeit sind auch sonst nicht die typischen Merkmale staatlichen Wirkens.


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