Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber

David Dürr – eigentümlich frei / November 2021


Die soeben abgehaltenen Bundestagswahlen haben auf den ersten Blick ja etwas sympathisch Demokratisches an sich. Sie lassen bei der Bevölkerung ein Gefühl von Souveränität aufkommen. Wenn Amtsträger, die einen sonst von weit oben herab behandeln und einem eigentlich nichts anderes als Freiheitsbeschränkungen, Steuerpflichten, Denk- und Sprechverbote zumuten, vor den Wahlen plötzlich ausgesprochen freundlich daher kommen, unseren Zuspruch und unsere Sympathie suchen, beteuern, wie es ihnen um nichts anderes als um unser Glück und Wohlbefinden gehe – dann kommt fast so etwas wie bürgerliches Selbstwertgefühl auf; dann fühlt man sich plötzlich nicht mehr nur als Knecht, sondern auch ein bisschen als Herr; dann scheinen nicht nur wir von den Politikern, sondern auch ein bisschen diese von uns abzuhängen.

Speziell nun von diesem letztgenannten Gefühl bleibt bisweilen noch ein kleiner Rest über den Wahltermin hinaus bestehen, nicht allzu lange zwar, aber vielleicht doch ein paar Wochen oder Monate. Denn wenn die Frisch- oder Wiedergewählten wieder ans Werk gehen, das heisst gleich wieder neue Freiheitsbeschränkungen, Steuerpflichten, Denk- und Sprechverbote verordnen, dann kann man sich mit einem – wohl etwas gequälten – Stolz aber doch einreden: Wir waren es, die diese Leute gewählt haben.

Nun mag genau dies, nämlich sie gewählt zu haben, dumm gewesen sein, wie das (zu Unrecht Brecht zugeschriebene) Sprichwort besagt: «Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber.» Doch anderseits – so wird man sich flugs einreden – geradezu Metzger sind diese Abgeordneten ja auch wieder nicht. Und selbst wenn sie es wären, so könnten wir wenigstens stolz feststellen, dass sie ihre Machtfülle, so quasi ihre ganze politische Existenz, uns, den souveränen Kälbern, zu verdanken haben. Denn hätten diese Kälber die Abgeordneten nicht gewählt, so gäbe es diese ja gar nicht. 

Das Problem ist nur, dass eben dies nicht stimmt. Denn die souveränen Kälber werden ja gar nicht gefragt, ob sie sich Metzgern ausliefern wollen, sondern einzig, welche Personen sich als Metzger betätigen sollen. Eine wahrlich bittere Souveränität, die sich darin erschöpft, zu bestimmen, von wem man all diese Freiheitsbeschränkungen, Steuerpflichten, Denk- und Sprechverbote aufgebrummt bekommt beziehungsweise wer das Metzgermesser führen soll; ob man solche Metzger überhaupt wolle, steht nicht zur Debatte.

Dazu hatte das Volk ohnehin noch nie etwas zu sagen. Das Grundgesetz, in dem die jeweils gewählten Abgeordneten und die von ihnen bestimmte Regierung mit Metzgerfunktionen ausgestattet werden, wurde 1949 nicht etwa vom deutschen Volk, sondern von den damaligen Besatzungsmächten verordnet. Es hiess dann zwar noch: «Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.» Doch hierauf wartet das deutsche Volk noch immer, und es wird bis zum St. Nimmerleinstag darauf warten müssen. Denn bei der Vereinigung Deutschlands im Jahr 1990 wurde die Grundgesetzbestimmung dahin geändert, dass es nun diese «freie Entscheidung» nicht mehr brauche, Deutschland sei nun vereinheitlicht und damit ja auch frei.

Und damit war für alle Zukunft die Frage vom Tisch, ob diese Kälber überhaupt Lust darauf haben, Metzgern unterworfen zu sein.


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