Das Abendland schwimmt koedukativ

David Dürr - eigentümlich frei 26.02.2015



Ein nicht ganz ernst gemeinter Dank an Vater Staat und seine Unterrichte

Hand aufs Herz: Haben Sie, als Sie noch zur Schule gingen, stets und lückenlos den Schwimmunterricht besucht, und zwar den „koedukativen“ Schwimmunterricht, also den Schwimmunterricht, bei dem Knaben und Mädchen gleichzeitig die genau gleichen Schwimmübungen absolvieren, wo es nicht etwa zwei Abteilungen gibt, eine für Mädchen und eine für Knaben, sondern nur eine einzige und gleiche Abteilung für Mädchen und Knaben zusammen? Oder gingen Sie gar zu einer Schule, in der es noch gar kein Obligatorium eines koedukativen Schwimmunterrichts gab. Lebten Sie tatsächlich noch in jenen dunklen, unaufgeklärten Zeiten, als der Schwimmunterricht – nur schaudernd erinnert man sich zurück – „monoedukativ“ war.

Falls dem tatsächlich so sein sollte, dann sollten Sie sich unverzüglich beim zuständigen staatlichen Schulamt melden, zum Pflichtnachholkurs im koedukativen Schwimmen. Aber lieber schon heute als erst morgen! Sonst könnte es Ihnen passieren, dass Sie vom Verfassungsschutz als Republikgefährder oder Republikgefährderin geortet und umgehend mit einer elektronischen Fussfessel versehen werden.

Ja, in diesen Dingen versteht unsere sonst doch so gütige Obrigkeit rein gar keinen Spass, und dies sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz (aus der ich komme). Was Deutschland anbelangt, so ist das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 8. November 2016 (aus der die obige Terminologie stammt) zur unwiderlegbaren Erkenntnis gelangt, dass der koedukative Schwimmunterricht den Kern unserer abendländischen Kultur ausmacht. Das Gericht stellte sich ausdrücklich hinter die Schulbehörden, die in jenem Streitfall festgestellt hatten, dass die „Einübung sozialen Verhaltens … nur durch koedukativen Sport- und Schwimmunterricht zu gewährleisten“ ist. Oder andersrum: Wer nie koedukativen Schwimmunterricht genossen hat, ist unausweichlich ein asozialer Mensch. Und was gibt es schlimmeres als das?! – Wie dankbar sind wir doch dem Staat, dass er da konsequent zum Rechten schaut.

Auch die Schweiz hat die zentrale Bedeutung des koedukativen Schwimmunterrichts erkannt und dessen Pflichtbesuch gerichtlich durchgesetzt. Zwar gab es in meinem unbedarften Alpenländlein Zeiten, in denen man sich der enormen Gefährlichkeit von Dispensationen vom koedukativen Schwimmunterricht noch nicht so ganz bewusst war. Da hatte doch tatsächlich das Schweizerische Bundesgericht im Jahr 1993 dem Gesuch eines muslimischen Mädchens um Befreiung vom koedukativen Schwimmunterricht noch stattgegeben, und dies mit der völlig unverantwortlichen Begründung, so wichtig sei der koedukative Schwimmunterricht nun auch wieder nicht.

Doch mittlerweile ist auch das schweizerische Bundesgericht stramm auf dem rigorosen Kurs zur Rettung des Abendlandes vor der morgenländischen monoedukativen Grossoffensive auf dem Schlachtfeld des Schwimmbads. Und glücklicherweise hat nun vor wenigen Tagen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die konsequente Haltung der Schweiz (und damit indirekt auch Deutschlands) geschützt und die Beschwerde eines muslimischen Mädchens gegen den Pflichtbesuch des koedukativen Schwimmunterrichts abgewiesen. Ein hörbares Aufatmen ging durch unsere beiden Länder. Diverse Politiker, in deren Parteiname die Wortteile „frei“ oder „liberal“ vorkommen, erklärten erleichtert, wie froh sie seien, dass sich die freiheitlichen Grundprinzipien unseres fortschrittlichen Abendlandes letztendlich doch noch durchgesetzt haben. 

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