Leviathan in Aktion

David Dürr – eigentümlich frei September 2020


In den USA ist er neulich seinem Ruf wieder voll gerecht geworden, der durchsetzungsstarke Leviathan, dieser mythologisch verklärte Gott des staatlichen Gewaltmonopols. In einem Fall war es in der Person eines Polizisten, der einem Verrastierten so lange auf den Hals kniete, bis dieser tot war; in einem anderen Fall in der Person eines anderen Polizisten, der einem anderen Verarrestierten, der ihm den Pfefferspray weggenommen hatte, hinterherrannte und ihn totschoss.

Das führte dann zu einer riesigen Empörung mit landesweiten Protesten in den USA, ja mit weltweiten Grossdemonstrationen bis hinüber zu uns nach Europa. Das ist ja auch verständlich angesichts solch brutaler Szenen. Und trotzdem kam mir diese Massenempörung komisch vor, und dies aus zwei Gründen:

Zum einen weil sie sich gar nicht gegen die Polizeibrutalität als solche wandte, sondern dagegen, dass die Polizisten weiss und die Opfer schwarz waren. Soweit dies tatsächlich eine Rolle gespielt haben sollte (was wohl anzunehmen ist), kann dies doch nicht das Hauptproblem sein. Jemanden so zu behandeln, wie das diese beiden Polizisten getan haben, ist ja nicht deshalb ein Verbrechen, weil die Polizisten weiss und die Opfer schwarz waren, sondern weil solche Handlungen ein Verbrechen sind. Sie wären nicht weniger verbrecherisch, wenn die Polizisten schwarz und die Opfer weiss gewesen wären. Das Strafrecht verbietet nicht das Erwürgen und Erschiessen von schwarzen Menschen, sondern von Menschen jeder Farbe. Es zählen nicht nur schwarze Leben, sondern Leben überhaupt. Alles andere wäre rassistisch.

Der andere Grund, weshalb mir die Empörung etwas komisch vorkam, war, dass dieses Gebaren Leviathans doch genau das ist, was man von ihm erwartet. All die mainstreamigen Staatsanbeter, die nicht müde werden, das Gewaltmonopol des Staates zu beschwören, berufen sich, gebildet und belesen wie sie sind, immer gern auf den «Leviathan» von 1651 des Monarchisten Thomas Hobbes. Nun sollten sie aber auch dort nachlesen, wo Thomas Hobbes seine Inspiration ausdrücklich hergeholt hatte, nämlich im Kapitel 41 des Buchs Hiob im Alten Testament. Dort wird die Rolle Leviathans als oberster Gewaltmonopolist präzis definiert:

«Schon bei seinem Anblick wird man hingeschleudert. Keiner ist so kühn, dass er ihn reizte, keiner kann ihm trotzen. Wer begegnete ihm und blieb unversehrt. Unter dem ganzen Himmel gibt es den nicht. Nicht zu schweigen die Kraft seines Körpers und die Pracht seiner Ausstattung. … Rings um seine Zähne lagert Schrecken. Reihen von Schildern sind sein Rücken, eines dicht neben dem anderen. …Aus seinem Rachen fahren brennende Fackeln, feurige Funken schiessen hervor. Rauch dampft aus seinen Nüstern, wie aus einem kochenden heissen Topf. Sein Atem entflammt glühende Kohlen, und eine Flamme schlägt aus seinem Maul. Stärke wohnt in seinem Nacken, und vor ihm her läuft Kraft. … Erhebt er sich, so erschrecken Starke, ziehen sich zurück vor Ängsten. Stellt man ihm nach, hält das Schwert nicht stand, keine Lanze, keine Waffe, kein Pfeil. Wie Stroh achtet er Eisen, Erz wie wurmstichiges Holz. … Es gibt über dem Erdenstaub nicht seinesgleichen, geschaffen, um sich nie zu fürchten. Sein Blick misst sich mit jedem Hohen; König ist er über alle.“

Daran haben sich jene Polizisten in den USA doch getreulich gehalten. Wo liegt denn das Problem? Ausser vielleicht beim Gewaltmonopol an
sich …


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