Nie wieder Staat!

David Dürr - Eigentümlich frei Januar/Februar 2019


Kam das Ihnen auch so vor? Irgendetwas stimmte nicht, bei dieser pompösen Feier zur Erinnerung an das Ende des ersten Weltkriegs, die kürzlich über die Bühne der Champs Élisées in Paris ging. Ich meine nicht die etwas zu kurzen Hosen von Präsident Macron oder seine ziemlich peinliche  Schäkerei mit Angela Merkel. Ich meine auch nicht den etwas zu schmalen roten Teppich, auf dem nur die ganz grossen Staatshäupter Platz fanden, während zum Beispiel der schweizerische Bundespräsident ziemlich gestresst links aussen nebenherlaufen musste. Nein, ich meine etwas anderes:

Nämlich dass ausgerechnet diejenigen, die schon immer dafür sorgten, dass es Krieg gibt, und dies auch jetzt noch ständig tun, den Zynismus aufbringen, in einer schwülstigen Friedensfeier mit weltweiter TV-Übertragung „Nie wieder Krieg!“ zu rufen. Dass die gleichen Staatsoberhäupter, Präsidenten, Regierungschefs und Generäle, die an ihren Nationalfeiertagen stramme Regimenter im Gleichschritt aufmarschieren lassen, Raken- und Panzer-Paraden abnehmen und tief vorbeidonnernden Kampfjetformationen salutieren; dass die gleichen Militärpolitiker, die nicht müde werden, zur Aufrüstung und Verstärkung der Kampfbereitschaft aufzufordern; dass die gleichen Weltpolitiker, die überregionale Kriegskartelle propagieren – dass all diese Inhaber staatlich monopolisierter Kriegsmacht sich nicht schämen, am Grab des unbekannten Soldaten Kränze hinzulegen, ernste Gesichter zu machen, ergreifende Worte zu sprechen, rhetorische Kunstpausen einzulegen und „Nie wieder Krieg!“ zu heucheln.

Was ihnen in ihrem bornierten Zynismus ganz offensichtlich entging: Das Ende des ersten Weltkriegs eignet sich ausgesprochen schlecht für eine Friedensfeier. 1918 war gerade nicht das Ende, sondern der Anfang eines nächsten, noch weit grausameren Krieges. Was vor hundert Jahren in jenem Eisenbahnwagen in Compiègne und kurz darauf in Versailles unterschrieben wurde, war kein Friedensabkommen, sondern eine Kriegserklärung, war nicht Versöhnung, sondern Bestrafung, war nicht Handschlag, sondern Unterwerfung. Es war, wie wir heute wissen, ein kurzer Boxenstopp der Staatsoberhäupter, Präsidenten, Regierungschefs und Generäle, um sich kurz darauf nur umso aufgeladener wieder zurück ins Kriegsrennen zu stürzen. 

Und nachdem sie auch die nächsten Runden Krieg absolviert, das heisst die halbe Welt kaputtgeschossen und zig-Millionen Menschen getötet hatten, waren es 1945 erneut die Staatsoberhäupter, Präsidenten, Regierungschefs und Generäle, die „Nie wieder Krieg!“ riefen und so taten, wie wenn es ihnen um Frieden zu tun wäre. Aber auch das war bloss ein Boxenstopp. Das Rennen ging nahtlos weiter; diesmal mit atomarem Wettrüsten hüben und drüben mit einem Zerstörungspotenzial, das alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte. Und daran arbeiten sie heute mehr denn je, diese gleichen Staatsoberhäupter, Präsidenten, Regierungschefs und Generäle, die da kürzlich in Paris „Nie wieder Krieg!“ riefen. Diese gleichen Macrons und Merkels, die sich da soeben vor laufender Kamera im hübsch nachgebauten Eisenbahnwagen von Compiègne hinkuschelten und artig Friedensvertrag spielten.

Vergesst „Nie wieder Krieg!“ Es gibt nur eins: „Nie wieder Staat!“


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