Lob der Ohnmacht



David Dürr - Eigentümlich frei April 2020

Was schon Jacob Burckhardt der EU ins Stammbuch schrieb

An der Münchner Sicherheitskonferenz kürzlich einmal mehr: Das grosse Lamentieren über die geostrategische Ohnmacht Europas angesichts der immer stärker werdenden Weltmächte USA, Russland und China. Europa gerate immer mehr ins Hintertreffen. Europa müsse machtpolitisch aufrüsten; und dies im Sinn des Wortes, durchaus handfest militärisch. Präsident Macron stelle dafür noch so gern seine Atombomben zur Verfügung. Die Europäische Union soll nun zügig daran gehen, die Rolle einer der vier Weltmachtstaaten zu übernehmen. Sie brauche zwar noch etwas integrativen Schub mit eigener Aussen- und Militärpolitik, aber dann sei es geschafft, dann sei auch Europa eine Weltmacht mit allem was dazu gehört. Packen wir’s an!

Indes – hiess es nicht auch schon: «Macht ist böse»? Gab es da nicht jenen Weltbeobachter und Kulturhistoriker Jacob Burckhardt, der diesen einprägsamen Satz schrieb. Und was genau meinte er damit? Hatte das überhaupt mit der nun eben in München so sehnlich herbeibeschworenen Macht zu tun?

Ja es hatte: Jacob Burckhardt meinte genau diese Art von Macht, damals in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als Machtballungen entstanden, die bis dahin unvorstellbar waren. Aus der Asche der Revolutionen entstieg damals nicht etwa Freiheit, sondern Machtkonzentration. Wo früher unzählige Grafschaften, Herzogtümer, Handelsstädte, Bistümer, Klöster, lokale Eidgenossenschaften, Talschaften waren, war nur noch Einheit angesagt, musste es der territorial, rechtlich und vor allem auch militärisch vereinheitlichte Nationalstaat sein. Statt vieler kleiner Einheiten waren innert weniger Jahrzehnte eine Handvoll Grossmachtstaaten herangewachsen; also ziemlich genau das, was wir heute global vor uns haben. Und wer zu den Grossen gehören wollte, musste Machtstrategien verfolgen, musste sich integrativen Schub geben mit eigener Aussen- und Militärpolitik, genau wie heute die EU.

Und eben dazu schrieb damals Jacob Burckhardt Folgendes: «… nun zeigt es sich – man denke dabei an Louis XIV, an Napoleon und an die revolutionären Volksregierungen - , dass Macht an sich böse ist, dass … das Recht des Egoismus, das man dem einzelnen abspricht, dem Staate zugesprochen wird. Schwächere Nachbarn werden unterworfen und einverleibt oder irgendwie sonst abhängig gemacht, nicht, damit sie selbst nicht mehr feindlich auftreten, denn das ist die geringste Sorge, sondern damit sie nicht ein anderer nehme oder sich ihrer politisch bediene; man knechtet den möglichen politischen Verbündeten eines Feindes. Und auf dieser Bahn angelangt, ist dann kein Halten mehr; alles wird exkusabel (=entschuldbar), denn mit der blossen Beschaulichkeit wäre man zu nichts gelangt, sondern frühe von anderen Bösewichtern gefressen worden’, und ‘die Andern machen’s auch so’».

Nun betonen die heutigen Europamachtpolitiker, wie neulich auch wieder in München, dass das mit der Macht bei uns im Westen ganz anders sei als bei Russland und China, denn im Gegensatz zu diesen seien wir doch so freiheitlich. Auch dazu hatte Jacob Burckhardt seine Meinung:

«Und nun ist die Macht an sich böse, gleichviel wer sie ausübe, sie ist kein Beharren, sondern eine Gier und eo ipso unerfüllbar, daher in sich unglücklich und muss also andere unglücklich machen.»

Und wie recht er hatte, wenn man bedenkt, was jene Grossstaatsmachten schon bald anrichteten. Hätten sie doch lieber eine Strategie der Ohnmacht verfolgt!


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