Konkurs der Eidgenossenschaft

David Dürr - Schweizer Monat 01.08.2012


Die Welle der Staatskonkurse wird wohl von Griechenland aus anrollen. Sie dürfte dann Spanien, Portugal und Italien erfassen, nach anfänglichem Widerstand wohl auch Frankreich, und selbst Deutschland hat kaum Aussicht, von ihr verschont zu werden. Das Land, das für alle anderen haftet, ist ja schon heute auf der Watchlist von Moody’s, andere Ratingagenturen haben es bereits herabgestuft. Von Schadenfreude keine Spur, denn am Ende ist auch die Schweiz dran, oder genauer die Organisation, die sich «Schweizerische Eidgenossenschaft» nennt und ihren Hauptsitz am Bundesplatz in Bern hat. Im Moment hat sie zwar noch immer ein AAA-Rating. Aber wie lange noch?

Ein Rating misst bekanntlich die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Staat seine Schulden zurückzahlen wird. Das schweizerische AAA ist das beste aller Ratings und bedeutet, dass nach menschlichem Ermessen so gut wie kein Ausfallrisiko besteht. Man möge diesem Schuldner getrost weiteres Geld leihen, auch langfristig und zu bescheidenem Zins, er wird die gesamte Schuld bestimmt wieder pünktlich und vollständig tilgen. Im Fall der Schweizerischen Eidgenossenschaft sind das im Moment immerhin 135 Milliarden Franken (Staatsrechnung des Bundes, Bilanz per 31.12.2011).

Wie geht nun eine Ratingagentur diese Aufgabenstellung an? Im Fall eines privaten Unternehmens würde sie zuerst einmal nachschauen, ob den Passiven mindestens gleich hohe Aktiven gegenüberstehen; oder genauer: etwas mehr Aktiven als Passiven, gleichsam als Polster für alle Fälle (das sogenannte Eigenkapital). Erfüllt das Unternehmen diesen Aktivenüberschuss-Test nicht bzw. hat es negatives Eigenkapital, so erhält es nicht bloss ein schlechtes Rating – das natürlich auch –, sondern muss sogleich von Rechts wegen das Notszenario des eigenen Konkurses auslösen.

Dies geschieht mit gutem Grund. Denn würde der Konkurs, das heisst die Veräusserung der Aktiven und die Generalabrechnung aller Passiven, unterbleiben, würde alles nur noch schlimmer: Die schlechten Aussichten auf die Rückzahlung der Schulden würden deren Verzinsung verteuern, so dass immer weniger zur Rückzahlung verbliebe. Eine Erholung durch Erhöhung der Aktiven würde immer schwieriger, eine Erhöhung der Passiven dagegen umso wahrscheinlicher. Da ist es allemal das kleinere Übel, im möglichst frühzeitigen Konkurs wenigstens einen Teil der Passiven zu retten, als am Schluss noch viel mehr Passiven ganz abzuschreiben.

Ganz anderes geschieht nun aber, wenn es um das Rating eines Staats geht: Der Test des Aktivenüberschusses wird ihm erstaunlicherweise erlassen. Dass den 135 Milliarden Schulden der Schweizerischen Eidgenossenschaft gerade mal 100 Milliarden an Aktiven gegenüberstehen, soll nach offizieller Lesart kein Grund zur Besorgnis sein. Zur Begründung heisst es, nebst diesen Aktiven gebe es ja irgendwie noch die Volkswirtschaft des ganzen Landes – so als ob alle Menschen, Haushalte und Unternehmen der Schweiz Eigentum des Staates wären. Im Ratingjargon von Moody’s liest sich das dann so: «Die Schweizer Wirtschaft ist sehr gut entwickelt und diversifiziert; dies zusammen mit dem hohen durchschnittlichen Einkommen macht die Schweizer Wirtschaft zu einer der solidesten und konkurrenzfähigsten weltweit.» Woraus dann – wie aus einer Wundertüte – die Aussage hervorgezaubert wird, die Schweizerische Eidgenossenschaft verfüge über «eine robuste Bilanz». Und all dies rechtfertigt dann das Rating AAA.

Robuste Bilanz? – Bei einer Überschuldung von 35 000 000 000 Franken bzw. einem negativen Eigenkapital von 35 Prozent erstaunlich! Und sollten noch gewisse stille Reserven auf Aktiven zum Vorschein kommen, so wohl noch viel mehr auf Passiven, wenn man etwa an das zusätzliche Schuldenpotential der Sozialwerke denkt, die in der Staatsbilanz geflissentlich ausgeblendet werden. 

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